Jürgen Raap

Uta Schotten

Porträts Galerie Thomas Zander, Köln, l7. Juni bis 6. August 2000

 

Nur der Anblick des gesamten Gesichts oder markanter Teile wie der Mundpartie erlauben eine Identifizierung der jeweiligen Person. Straftäter, die unerkannt entkommen wollen, verstecken vor allem Mund und Kinn hinter einem Tuch oder Schal; oder sie benutzen eine Strumpfmaske, die zwar durchsichtig ist, aber den gesamten Kopf so straff umhüllt, dass das Gesicht deformiert wirkt. Manche glauben aber auch, allein schon das Verbergen der Augen hinter einer Sonnenbrille erschwere das spätere Wiedererkennen. Alle diese Strategien der Maskerade beruhen auf dem Prinzip, dass das Ganze unkenntlich wird, wenn bereits nur ein signifikanter Teil dem direkten Anblick des Gegenübers entzogen wird.


An dieser Tatsache setzt Uta Schotten mit ihrer Reihe von malerischen Selbstporträts an, die vor dem Spiegel entstanden sind. Sie beschränkt sich auf kleinformatige Ausschnitte der Nasen-Augen-Partie und konterkariert so das kunsthistorische Genre des Porträts mit seiner strikten Koppelung an die Veranschaulichung individueller Identität: Das Porträt bildet bekanntlich immer eine konkrete Person ab, nicht irgendein typisiertes visagistisches Muster wie das kosmetische Modebild.


Doch mit ihrer Wahl einer bestimmten Ausschnitthaftigkeit anonymisiert Uta Schotten das (eigene) Gesicht. Das rezipierbare Ergebnis ist schließlich das Gleiche wie bei einer Maskerade. Damit wird der kunsthistorische Bildnisbegriff in sein genaues Gegenteil verkehrt – und ebenso seine alltagspraktische Verwendung, etwa im kriminalistischen Fahndungsfoto oder beim Passbild.


Trotz quasi-impressionistischer Verschwirnmungen in der Formbehandlung und entsprechendem Pinselduktus sind die Gesichtsteile durchaus wirklichkeitsgetreu wieder gegeben, aber entscheidend für den kognitiven Gehalt des Bildes ist letztlich eben doch nicht der Grad an formalem Verismus oder an Bildschärfe, sondern nur die Totalität des Gezeigten. In anderen Bildseriell hat Uta Schotten Physiognomisch-Plastisches stärker in Farbflächen aufgelöst, und hier ist dann noch offensichtlicher, wie eine malerische Verunklarung des äußeren Gesichts zwangsläufig auch eine Verunklarung des Ausdrucks persönlicher Identität bedeutet.


In diesen anderen Werkreihen greift sie auf Fotovorlagen zurück. Es sind einmal Schnappschüsse von Freunden und Bekannten, bei deren Übersetzung in die Malerei Farbe und Raumbezüge verändert und verfremdet werden, so dass sich gegenüber der Vorlage eine neue und eigene Bild Wirklichkeit ergibt Und es sind zum anderen Motive aus einem alten Familienalbum mit Personen, welche die Künstlerin nicht persönlich, sondern nur aus Erzählungen kennt. Der inzwischen „historisch" gewordenen Bildatmosphäre, in der die Abgebildeten vor 70 oder 80 Jahren vor der Kamera posiert haben, setzt Schotten ihre heutigen, zeitadäquaten malerischen Mittel entgegen. Sie denkt sich hermeneutisch in die Welt einer nicht mehr existenten Generation ein, zeigt jedoch gleichzeitig, wie sie wohl heute diese Leute porträtiert hätte, wenn sie ihr noch hätten Modell sitzen können.


Generell bieten Schottens Bilder auch einen Rekurs darauf, wie sehr sich in den vergangenen 100 Jahren Fotografie und Malerei voneinander emanzipiert haben. Nur in den Schaufenstern von Vorort-Fotostudios wird freilich immer noch die malerische Ästhetik des 19. Jh. gefeiert, wenn der Studioinhaber dort Arbeitsproben mit Hochzeitspaaren vor einem Hintergrund mit schwülstigen Faltenwurf-Draperien zeigt. Doch sonst hat die Fotografie der Porträtmalerei längst ihre originären Aufgaben abgenommen und dem Medium des gemalten Bildes auf diese Weise eine sukzessive Reduktion und Abstraktion der Form erlaubt bis hin zur reinen Monochromie. Zugleich hat die Fotografie – und zwar nicht erst seit der Avantgarde um 1920 – eine eigene, medienadäquate Ästhetik entwickelt.


Das wiederum bedeutete auch theoretische wie praktische Herausforderungen für die Malerei. Vor 30 Jahren imitierte die fotorealistische Malerei die Fotografie. Die gemalten Bilder sollten aussehen, als ob sie fotografiert worden seien. Dann begann die nächste Künstlergeneration Experimente mit Fotoleinwänden. Nun tritt mit Uta Schotten (Jahrgang 1972) eine junge Künstlergeneration an, die unbefangen die medialen Bilder als Inspirationsquelle und Hilfsmittel benutzt, aber doch in erster Linie „Malerei als Malerei" betreibt (bzw. – in Abwandlung einer bekannten Redensart – peinture pour la peinture). In der oben beschriebenen Anonymisierung der Selbstbildnismotive zeigt sich freilich gleichzeitig eine kritische Distanz zu den kunsthistorisch überlieferten Topoi und Genres der Malerei: Eine emanzipatorische Distanz, die notwendig ist, um wirklich Neues entstehen zu lassen.

 

Jürgen Raap

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