Christian Deckert

Zu den Bildern von Uta Schotten

Es war immer schon das Privileg des Künstlers, Dinge und Verhältnisse neu zu bestimmen und zu benennen.

 

Er geht dabei nicht wie ein Wissenschaftler vor, ein Biologe zum Beispiel, der Namen vergibt, um zu klassifizieren, sondern er macht das Gegenteil: er streift ab und befreit die Objekte seines Interesses von bisherigen Zuordnungen. Seine Art des Benennens ist keine simple Namensgebung, sondern ein Richtigstellen.

 

Wenn die Malerin Uta Schotten sich auf diesen Weg macht, geht sie vielleicht noch ein Stück weiter, als andere Künstler es tun: sie entblößt ihre Sujets solange, entzieht ihnen die Ebenen übergestülpter Nützlichkeit, bis diese sich selbst benennen.

 

Nähert man sich ihren Bildern, fällt auf, dass viele ihrer Arbeiten thematisch und zeitlich rückwärtsgewandt wirken. Alte Häuser, Wagenräder, Menschen, die verblichenen Photographien entsprungen zu sein scheinen. Damit muss der Betrachter erst einmal fertig werden. Nach dem ersten Eindruck kommt aber gleich ein anderes Moment dazu - das der Zeitlosigkeit.

 

Auf die Frage, ob sie sich vorstellen könne, dass die altmodische Kleidung des Mädchens in dem Bild Die Springende  von 2013 auch aus einer Treckingjacke bestehen könnte, antwortet die Künstlerin eindeutig mit "nein".

 

In Uta Schottens  Bilderwelt werden vergangene Dinge ausdrücklich zu Bedeutungsträgern. Sie malt keine Motorboote sondern Nachen, keine Bungalows, sondern Fachwerk. Es macht jedoch das Geheimnis dieser Bilder aus, dass sie uns trotzdem ganz nah sind und nahe gehen, und dass sie in ihrer Malweise aus dem Heute stammen.

 

Mit diesem doppelbödigem Erleben konfrontiert zu werden, ist nicht einfach, macht aber den Reiz mit der Beschäftigung der Werke Schottens aus, zumal sich dort problemlos auch mal Sportplätze verirren dürfen. Sportplätze?

 

Der Moment der Zeitlosigkeit, der beim Betrachter vor vielen Werken Schottens entsteht, verdient eine besondere Aufmerksamkeit. Zeitlosigkeit! Was für ein Wort! Wie oft im Kontext von Kunstwerken benutzt. Trotzdem.

 

Die Malweise der Bilder ist nach oft diversen Übermalungen gestisch schnell und der realen, akuraten Linienführung einer Dachkante oder einer Sportplatzmarkierung begegnet die Künstlerin mit körpereigener Genauigkeit, die keinerlei grafischer Hilfsmittel bedarf.  Ich empfinde Schottens Bilder als überaus genau.

 

Man sollte meinen, dass gestische Malerei doch eher Wandel als Zeitlosigkeit suggeriert oder vielleicht das Anhalten von Zeit, einem photografischen Schnappschuss vergleichbar.

 

Das zuvor erwähnte Bild Die Springende  ist nach so einem Schnappschuss gemalt. Die Photographen sprechen von "Bewegungen einfrieren", wenn sie eine Belichtungszeit wählen, die so kurz ist, dass  sie den Objekten die Bewegungsunschärfe nimmt. Obwohl nach so einem Photo gemalt, ist Schottens Bild alles andere als eine eingefrorene Bewegung. Hier wird eine Nahtstelle ihrer Werke sichtbar und es wird deutlich, warum es eines Photos bedarf, dass nicht der Tagesaktualität entstammt.

 

Was die Malweise anbelangt, entspricht der Sportplatz dem gemalten Fachwerkhaus; die Künstlerin könnte sich hauptsächlich also sehr wohl den uns umgebenden Dingen und baulichen Situationen zuwenden. 

 

Dabei hat sie einen aufwendigen Stil kreiert, der parallel zu dem Umgang mit den Sujets bisweilen altmeisterlich virtuos daherkommt, dessen spezielles Vorgehen mit der Ölfarbe diese Ästhetik aber auch wieder bricht. Der von ihr angelegte mittel- bis starksaugende Kreidegrund entzieht den Farben das Öl und lässt sie auf der Leinwand trocken stehen. Der in der Ölmalerei oft angestrebte "Glanz" der Bilder, der bis zum speckig werden reicht, wird so vermieden.

 

Die zusätzliche Beigabe von Wachs zum Malmittel, also die Verwendung der selten benutzten Technik der Enkaustik schafft in den Bildern eine feine und zarte Fragilität der Maloberfläche. Sie wirkt der Unverwüstlichkeit der Ölfarbe entgegen, gibt ihr einen warmen, stumpfen, eben wächsernen Glanz.

 

Die entstehende "weiche Trockenheit" der Bilder erinnert oft eher an die Farboberfläche eines Freskos, das in seiner bestimmten Direktheit zu uns spricht.

 

In einer früheren Werkphase hat sich die Künstlerin damit speziell auseinandergesetzt, sogar auf gegipste Malgründe "wie auf eine Wand" gemalt.

 

Uta Schottens Bilder sind nicht denkbar ohne ihre intensive Auseinandersetzung mit den Werkstoffen.
Sie sagt: "Ich mag sowieso keine spiegelnden Flächen. Im Grunde auch kein Glas."

Dieser elaborierte Umgang mit dem Malgrund und der Farbe beinhaltet auch einen Hinweis auf die Themenwahl. Das transportable Bild, wie es insbesondere durch die Erfindung der Ölmalerei ermöglicht und perfektioniert wurde, ist, so glaube ich, Uta Schottens Sache eigentlich nicht. Man hat das Gefühl, dass sie am Liebsten ihre Auffassung von Zeitlosigkeit auch dadurch mitprägen würde, indem sie Bilder malt, die an Orten verbleiben dürfen. Was der derzeitige Ausstellungsbetrieb natürlich nur selten hergibt und unserer hochmobilen Lebenssituation nicht entspricht.

Auf die Herzlosigkeit schnell wechselnder Bilder, die keine angestammten Orte mehr kennen, die im Falle von Malereien durch die Gegend geschaukelt, ansonsten millionenfach gestreamt werden, reagiert sie mit einer extrawachen  Aufmerksamkeit bezüglich dem Bildgrund. Hier wird über das künstlerische Handwerk ein Stück der Tragik durchlebt, die die moderne Ortlosigkeit mit sich bringt. Wie schön, wenn Bilder wieder einen Platz hätten – um sich auszuruhen.

 

So wie Schotten keinen oberflächlichen Glanz auf ihren Bildern braucht, kein Trompe- l`oeil, um zu beweisen, dass es ihre Sujets auch wirklich in der sichtbaren Welt gibt, so bedarf sie auch nicht der zeitlichen Fixiertheit auf Dinge, Menschen und baulichen Situationen der unmittelbaren Gegenwart. Wozu auch? Es geht ihr nicht um den augenblicklichen Zustand des Erscheinens der Dinge, sondern um eine Schicht darunter, eine Schicht in der die Bilder wurzeln und die nicht nur mit dem sichtbaren Tagesgeschehen korrespondiert, sondern genauso mit dem Traum, der Nacht, den schlummernden Urbildern. Sie sagt: "Das Matte schafft gerade bei dunklen Flächen eine Öffnung für den Betrachter."

 

Wenn ein Mann auf einem Motorboot fährt, befindet er sich auch auf einem "Nachen". Einem sehr aktuellen, spezifischen "Nachen". Auch wenn der knatternde Motor nicht gerade zum Träumen einlädt. Die Form lässt ihn vielleicht vergessen, dass er über ein tiefes Wasser fährt, vielleicht fürchtet er sich auch, diesen Aspekt der Wirklichkeit mitzusehen. Vielleicht hat er Angst, zu begreifen, dass die Tiefe des Sees mit der Tiefe seines Unbewussten kommuniziert und das ein Boot immer auch Seelenfahrt und Übergang meint.

 

In einer idealen Welt müsste viele Boote aussehen wie auf den Bildern von Uta Schotten.

Um die Grenzlinie zwischen Wirklichkeit und Traum zu erreichen und aus diesem Raum Bilder zu schöpfen, bedient sich die Künstlerin nicht nur einer besonderen Verwendung der Farbsubstanz und des Auftrages sondern auch einer eigenen Auffassung der Farbigkeit selbst. Sie vermalt ein die Bilder dominierendes Grau und aus diesem Grau, dass sie, von Leinwänden abgekratzt, in einem Glas zum weiterverwenden sammelt, wachsen ihre Farben. Es ist eine Art "Geburtsfarbe", die es den anderen Farben ermöglicht, aus ihr hervorzugehen.

 

Interessanterweise macht sie damit ein Stück Realität erfahrbar, die der Druck mit Farben bestätigt, die Farbtheorie aber so nicht vorsieht. Im Bereich der Druckfarben ergibt die Mischung der Grundfarben Cyan, Magenta und Gelb ein schmutziges Grau und nicht das Schwarz gemäß der Farbtheorie. Darum heißt der Farbraum für Drucker, den wir aus Photoshop kennen, CMYK, wobei K für Key steht, ein Schwarz, das der Mischung beigefügt werden muss, um wirkliches Schwarz zu erzeugen. Es ist also nicht nur im geistigen Sinne so, dass alle Farben aus dem Grau stammen. In der Druckerei fließen auch alle Farben wieder zu Grau zusammen.

 

Schottens Farbigkeit ist ein Geheimnis, das uns klar macht, wie weit entfernt die Adjektive farbig und bunt  auseinanderliegen. Eigentlich kennen wir nur noch bunte Bilder. Hier gibt uns die Künstlerin wie ein Alchemist zurück, was uns Werbeplakate und das Flimmern der Bildschirme genommen haben. Der landläufigen Auffassung der Farbe Grau als Synonym zu "trist" steuert sie derart entgegen, dass, wenn starke Farben bei ihr auftauchen, wie das Blau (in dem Bild "Haus mit blauem Dach"  von 2013) man das Gefühl hat, zum ersten Mal ein Blau zu sehen, das einen wirklich satt macht. Auf diese Art berühren uns ihre Farben eher seelisch als visuell. Ein Wort, das die Künstlerin immer wieder auch selbst verwendet.

 

Wenn man die verschiedenen Aspekte ihrer Malerei versucht zusammen zu denken und zu fühlen, wird deutlich, dass ihre Bilder darum so berühren, weil sie rückwärtsgewandt scheinen, jedoch diesen Blick nach hinten eigentlich als Folie für einen Blick nach Innen verwenden. Die Malerin schaut innerlich so geöffnet, dass ihr Erleben genau die Grenze berührt, an der sich Tag- und Nachtwelt begegnen. Ihre Bilder sind mit einer Eindringlichkeit gemalt, dass sie bisweilen wie Erscheinungen wirken.

 

Diese Malerin betreibt Alchemie. Sie wandert zurück in eine Zeit, als Gold etwas anderes bedeutete, als einen Stoff, den es zu synthetisieren gilt, um den Kapitalertrag zu steigern. Sie will seelisches Gold zu Tage fördern, den geistigen Stein finden, der kostbar und unzerstörbar ist. So überführt sie zeitlich zuortbare Architektur in einen geistigen Raum und entwickelt sie zu seelische Gehäusen um.

 

Auf ihren Bildern, so sagt sie, "möchte ich spüren wer da gelebt hat und wieviele."
Und: "Beim Malen geht es um das sich Einlassen auf eine geistige Welt."
In Schottens Bildern ist deutlich zu spüren, was "Haus" abseits seiner Nützlichkeit auch meint: die mythische Behausung des Selbst.

 

Christian Deckert, Künstler, Januar 2014

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